Sportjournalist Christoph Karpe: „Das war eine Grenzerfahrung“

Christoph ist 1962 in Halle geboren und seit 1986 Sportjournalist der Mitteldeutschen Zeitung (ehemals „Freiheit“). Er berichtet seit 1991 vom Halleschen FC und stand auf dem Rasen des Kurt-Wabbel-Stadions, als das Fallschirmunglück passierte.

„Warst du dabei?“ wird Christoph Karpe in den Tagen und Wochen nach dem Unglück am Kurt-Wabbel-Stadion oft gefragt. Als Sportjournalist der Mitteldeutschen Zeitung macht sich der damals 35-jährige Hallenser am Nachmittag des 26. September 1997 auf den Weg in Richtung Kantstraße.

Als er gegen 18 Uhr am Stadion ankommt, sieht Christoph Hunderte Menschen an den Kassen stehen. Sie wollen sich ein Ticket für das Stadtderby zwischen dem Halleschen FC (HFC) und dem VfL Halle 96 sichern. Beide Vereine treffen das erste Mal seit Jahren in der vierten Liga aufeinandertreffen.

Christoph beurteilt die sportliche Ausgangssituation

Besonderes Rahmenprogramm für Stadtderby

Anschließend geht Christoph in den Presseraum und wechselt mit Kollegen einige Worte. An den Kassen vor dem Stadion gebe es ein großes Gedränge, hört er immer wieder.

Obwohl bis zum Anpfiff um 19:30 Uhr noch eine Stunde Zeit ist, wollen sich die Hallenser das Rahmenprogramm für das Spiel nicht entgehen lassen. Als Höhepunkt vor dem Anpfiff sollen Fallschirmspringer vom 1. FSC Halle-Oppin den Spielball ins Stadion bringen.

Das erlebt auch Christoph nicht jeden Tag. Darum geht er zusammen mit dem damaligen HFC-Stadionsprecher Ulrich Kliem auf den Rasen des Kurt-Wabbel-Stadions und verfolgt „das große Bohei“, wie er sagt, von dort. Die Stadionuhr zeigt 19:15 Uhr.

Wie Christoph den Absturz beobachtet

Wie Christoph den Moment des Unglücks erlebt

Plötzlich hört Christoph Schreie. Sie mischen sich mit dem anfänglichen Applaus der Zuschauer. Er schaut in das Gesicht von Stadionsprecher Ulrich Kliem und sieht, wie er das Mikrofon zitternd in den Händen hält.

Christoph ist klar, dass etwas geschehen ist, das so nicht geplant war. Er will herausfinden, was passiert ist und macht sich auf den Weg zum Stadioneingang. Dort kommt ihm ein Arbeitskollege entgegen.

Christoph trifft Arbeitskollegen nach dem Unglück

Christophs Suche nach Antworten

Kurz darauf befindet sich Christoph an der Nordseite des Kurt-Wabbel-Stadions und schaut sich um. Hallesche Fußballfans stehen nebeneinander. Niemand spricht ein Wort.

Viele von ihnen starren auf eine Jeansjacke. Sie bedeckt einen regungslos am Boden liegenden Menschen. Direkt daneben Blutlachen und das Stoffknäuel, das den verunglückten Fallschirmspringer umgibt.

Manche schauen einander an und suchen in den Gesichtern eine Antwort darauf, was passiert ist. „Was mache ich hier jetzt eigentlich?“, fragt sich Christoph und geht zurück ins Stadion, während er den Klang von Sirenen wahrnimmt.

Wie Christoph mit dem Unglück umgeht

Als Reporter in der Ausnahmesituation im Einsatz

Christoph funktioniert. Er schildert den Kollegen in der Redaktion das Erlebte am Telefon. Danach verschafft er sich einen Überblick über die Situation: Wie HFC-Stadionsprecher Kliem den Zuschauern mitteilt, dass ein Fallschirmspringer abgestürzt und Menschen vor dem Stadion ums Leben gekommen seien. Wie die Polizei die Unfallstelle absperrt und die Fußballfans von dieser weglotst. Wie Fußballspieler sowie Verantwortliche beider Vereine mit den Zuschauern auf dem Rasen darüber sprechen, was geschehen ist.

Wie konnte das geschehen?

Dann fährt Christoph gegen 20:15 Uhr zurück in die Redaktion in der Delitzscher Straße. Auf dem Weg dorthin fragt er sich: Wie konnte das geschehen?

Die Polizei teilt ihm am Abend mit, dass wohl eine Werbefahne das Ausbreiten des Fallschirms beim verunglückten Springer verhindert habe. Eine Vermutung, die drei Tage nach dem Unglück das Luftfahrtbundesamt und die Staatsanwaltschaft Halle bestätigen.

Als gegen 22:30 Uhr vorerst alles aufgeschrieben ist, hat Christoph Feierabend. Statt nach Hause zu fahren, macht er sich auf den Weg in Richtung Ochsenberg in Halles Norden. Dort befindet sich das Vereinsheim der TSG Kröllwitz. Er möchte dort zur Ruhe kommen.

Wie Freunde von Christoph das Unglück erlebten

Offene Fragen nach dem Stadionunglück

Tagsdarauf sitzt Christoph nach einer Nacht mit viel Alkohol und wenig Schlaf wieder in der Redaktion der Mitteldeutschen Zeitung. Die Arbeit geht weiter.

Viele Fragen sind offen: Wer ist der Fallschirmspringer? Wer sind die Menschen, die zu Schaden gekommen sind? Was sagen Beteiligte? Welche neuen Erkenntnisse liegen der Polizei vor? Was haben die Mitarbeitenden des Luftfahrtbundesamts beim Untersuchen des Fallschirms festgestellt?

Der Schock lässt nach

Das Berichten über das Unglück und das Erzählen darüber, das Antworten auf „Warst du da?“ im Familien- und Freundeskreis, sorgen bei ihm dafür, dass der Schockzustand nachlässt.

In den Wochen danach berichtet Christoph von der Schweigeminute im Stadion und vom Einlassen der Gedenktafel an der Unglücksstelle.

Er ist beim Benefizspiel für die Angehörigen der vier Verunglückten im Januar 1998 gegen den 1. FC Magdeburg.

Christoph schreibt darüber, wie der Hallesche FC das nachgeholte Stadtderby gegen den VfL Halle mit 0:4 verliert. Am Ende der Saison steigt der Club ab. Die Mannschaft erreicht nach dem Fallschirmunglück nie wieder die Form, in der sie sich vor dem 26. September 1997 befand.

Berichterstattung nach dem Stadionunglück (Mitteldeutsche Zeitung)

Nichts Vergleichbares erlebt

„Sport macht einfach Spaß. Es gibt nichts Anderes, das so grandios Emotionen vermittelt“, sagt Christoph. Seit 1986 ist er Sportjournalist und hat das bei diversen Veranstaltungen hautnah erfahren.

Erinnert er sich an sportliche Höhepunkte, funkeln seine Augen. Dann schwärmt er von den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona, Boxkämpfen von Henry Maske und Interviews mit Lothar Matthäus.

In die Kategorie der besonderen Momente fallen für ihn auch die Ereignisse des 26. September 1997. Er hat nichts Vergleichbares erlebt.

Erinnerungen an Heysel und Hillsborough

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