Rettungsassistentin Diana Miklaw: „Wir wussten nicht, was uns erwartet“

Diana kommt 1967 in Hohenmölsen zur Welt und ist gelernte Anästhesieschwester. Seit 1991 arbeitet sie als Rettungsassistentin in Halle und im Saalekreis. Diana war mit einem Sanitäterkollegen mit als Erste an der Unglücksstelle am Stadion.

Diana Miklaw sitzt zusammen mit einem Sanitäter am frühen Abend des 26. September 1997 in der Rettungsstelle des Arbeiter-Samariter-Bundes in der Emil-Abderhalden-Straße in Halle. Es ist eine Schicht ohne besondere Zwischenfälle, bis gegen 19:20 Uhr ein Notruf aus dem Kurt-Wabbel-Stadion die Dienststelle erreicht. Ein Fallschirmspringer sei verunglückt, teilt die Leitstelle der damals 30-jährigen Rettungsassistentin mit. „Mit diesem Ausmaß, was uns dort erwartet, hatten wir überhaupt nicht gerechnet“, sagt sie. Zusammen mit ihrem Kollegen macht sich Diana auf den Weg zur Unfallstelle.

Dianas erster Eindruck an der Unfallstelle

Als Mitarbeiterin des Rettungsdiensts beim Stadionunglück von Halle im Einsatz

Diana und ihr Kollege kümmern sich als Erstes um einen Schwerverletzten mit mutmaßlich inneren Verletzungen, der das Bewusstsein verliert. Sie reanimieren den 21-Jährigen und bringen ihn in das Universitätsklinikum nach Kröllwitz im Westen Halles, da sie nicht einschätzen können, wie gravierend die inneren Verletzungen sind.

Als sie ihn dort einliefern, laufen die Vorbereitungen für eine Notoperation. Zwei Stunden später erfährt Diana von ihren Kollegen, dass der 21-Jährige seinen Verletzungen erliegt, bevor die Notoperation beginnen konnte.

Die Rettungskräfte hatten am Unglücksabend mehr als alle Hände voll zu tun. „Sämtliche Mitarbeiter von uns waren am Stadion. Wäre zu diesem Zeitpunkt ein weiterer Notfall in Halle passiert, hätten wir vermutlich nicht helfen können, was eigentlich niemals der Fall sein darf“, sagt Diana Miklaw. (Foto: Christian Lohse)

Der Feierabend muss warten

Es ist 20 Uhr. Eigentlich haben Diana und ihr Kollege Feierabend. Doch weil sämtliche Rettungsfahrzeuge bereits im Einsatz sind und jede Hilfe benötigt wird, führt ihr Weg zurück zum Kurt-Wabbel-Stadion.

Als sie erneut an der Unglücksstelle eintreffen, sitzen keine Verletzten mehr am Boden. Die Polizei ist vor Ort und hat den Bereich abgesperrt. Die Mehrheit der Zuschauer hat das Stadion verlassen. „Doch das Schlimmste sollte für mich und meinen Kollegen noch folgen“, erzählt Diana. Sie kümmert sich mit ihm um die Ehefrau des verunglückten Fallschirmspringers. Sie ist mittlerweile an der Unfallstelle eingetroffen.

Wie sich Diana um die Ehefrau des Verunglückten kümmert

Danach geht es für Diana gegen 21 Uhr zurück in die Rettungsstelle. Dort sitzt sie mit allen Kollegen, die am Stadion im Einsatz gewesen sind, noch etwa eine Stunde im Kreis zusammen. Sie sprechen über den Einsatz und was ihnen durch den Kopf geht. Einen vergleichbaren Vorfall hat niemand von ihnen erlebt. Trotz der tragischen Ereignisse und psychischen Belastung sind sie mit ihrer Arbeit zufrieden. Die Abläufe haben funktioniert.

Ein Foto der ehemaligen Wache des Arbeiter-Samariter-Bundes in der Emil-Abderhalden-Straße in Halle. Dort startet und endet Diana Miklaws Einsatz am Tag des Stadionunglücks. (Foto: Diana Miklaw)

Ein Tanzabend, an dem niemand tanzt

Ursprünglich ist Diana an diesem Freitag als Unterstützung bei einem Tanzabend im Vereinsheim der TSG Kröllwitz am Ochsenberg eingeplant. Nach dem Feierabend gegen 22 Uhr ist sie kurz zu Hause und fährt dann zum Vereinsheim. Als sie dort ankommt, ist der Laden gut besucht. Niemand tanzt.

Freunde und Bekannte, die sie dort trifft, ahnen, warum Diana erst jetzt da ist. Sie spricht mit Fußballfans, die Stunden zuvor an einem Kassenhäuschen des Kurt-Wabbel-Stadions bei einem Bier miteinander erzählten. Die erst ein Pfeifen hörten und dann den Sturz des Fallschirmspringers sahen. „Ich habe dann bis in die Morgenstunden Seelentrösterin gespielt, obwohl ich selbst Hilfe gebraucht hätte“, sagt sie.

Diana über die Bedeutung der psychologischen Betreuung

Stadionunglück in Halle als belastender Einsatz

1998 nimmt das Kriseninterventionsteam (KIT) in Halle durch Initiative des Arbeiter-Samariter-Bundes seine Arbeit auf. Die ehrenamtlichen Mitarbeitenden des KIT kümmern sich seitdem bei psychisch traumatisierenden Vorfällen um Beteiligte und Angehörige. Zum Zeitpunkt des Fallschirmunglücks befindet sich das KIT in Vorbereitung, ist aber noch nicht einsatzbereit.

Auch eine psychologische Betreuung für Mitarbeitende von Polizei, Rettungsdienst und Feuerwehr gibt es beim Stadionunglück in Halle nicht. Die sogenannte Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen (SbE), auf die diese mittlerweile zurückgreifen können, gibt es erst seit 2005 in Halle.

Da Halles damalige Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados am Abend des Stadionunglücks keinen Katastrophenfall ausruft, kann auch der Katastrophenschutz den Einsatzkräften nicht helfen. Dieser rückt in Notfällen aus, wenn die Mitarbeitenden von Rettungsdienst und Feuerwehr nicht ausreichen.

Archivaufnahme: Diana Miklaw versorgt einen 17-Jährigen nach einem Motorradunfall in einem Rettungswagen. Ihr Beruf bringt es mit sich, dass sie jeder Rettungseinsatz meist neu herausfordert. „Auf so etwas wie ein Stadionunglück kannst du dich nur bedingt vorbereiten. Mit das Wichtigste ist, sich bei größeren Unfällen besonders gut zu konzentrieren und in der oft unübersichtlichen Situation so schnell wie möglich zu erkennen, welche Menschen als Erstes Hilfe benötigen“, sagt Diana Miklaw. (Foto: Diana Miklaw)

Folglich übernimmt Diana die Aufgabe der psychologischen Unterstützung. Sie hilft den betroffenen Hallensern im Vereinsheim, hört ihnen zu und ordnet mit ihnen den Vorfall ein. Sie tröstet sich gleichzeitig selbst in einer Situation, in der sie sich eine Arbeitspause gewünscht hätte. Stattdessen beginnt am Tag nach dem Fallschirmunglück um 6:30 Uhr ihre nächste Schicht.

Wie Diana ihre Schicht am Tag nach dem Fallschirmunglück erlebte

„So etwas kannst du nicht einfach abschütteln“

Weitere Schichten folgen. Diana konzentriert sich auf die Arbeit und ihre Einsätze. Immer wieder erzählt sie in den Tagen und Wochen nach dem Unglück von ihrem Einsatz am Kurt-Wabbel-Stadion.

Auch Jahre später, als sie im Urlaub ist und mit Menschen ins Gespräch kommt, erinnern sich diese im Zusammenhang mit der Stadt Halle an das Stadionunglück.

„Du weißt nicht, was dich erwartet“, erzählt Diana, wenn sie darüber spricht, warum sie Rettungsassistentin geworden ist. „Belastbar sein“, sagt sie, sei eine Grundvoraussetzung für ihren Beruf, der sie regelmäßig mit Todesfällen konfrontiert. „So etwas kannst du auch in meinem Job nicht einfach abschütteln. Das beschäftigt dich einige Tage, aber dann musst du es für dich eingeordnet haben“, sagt Diana.

Manchmal könne das länger dauern, sagt sie und erinnert sich an einen Verkehrsunfall im Februar 2015 bei Zwintschöna im Saalekreis. Dort kamen drei Menschen ums Leben, darunter eine 16-Jährige und ein 18-Jähriger. „Die Bilder von der Unfallstelle vergisst du nicht“, sagt sie. Vom Stadionunglück am Kurt-Wabbel-Stadion sind es weniger die Bilder der Unglücksstelle, die ihr in Erinnerung geblieben sind.

Was sich bei Diana vom Unglück besonders eingeprägt hat